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Vom Haiangriff auf meine Freundin

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Im Dezember 2009 – nur 6 Monate nach meinem OWD – bestritt ich bereits meine erste Tauchsafari. Obwohl die Gegend um St. Johns im Roten Meer nicht gerade für eine große Haipopulation bekannt ist, habe ich während der gesamten Tour sehr gehofft und darauf hingefiebert, einen zu sehen. Am letzten Tag der Safari war es endlich soweit. Am Elphinstone Riff hatte ich schon vom Tauchdeck der 7Seas aus die erste Haisichtung. Die beiden Seidenhaie zeigten sich dann auch später unter Wasser aus einem Abstand von ca. 15 Metern. Und obwohl ich fasziniert war, kam mir die große Entfernung in dem Moment noch sehr gelegen.

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Das mulmige Gefühl bei einer Haibegegnung unter Wasser ging im Laufe der nächsten Safaris komplett verloren, aber der Respekt vor diesen Tieren blieb. Besonders Hammerhaie hatten es mir angetan. Zunächst waren es einzelne Tiere aus allen Entfernungen und spätestens nach meinen Touren in den Sudan und nach Cocos Island gehörten Hammerhaischulen im mittleren zweistelligen Bereich zu den „Hai-Lights“ meines bisherigen Taucherlebens.

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Hammerhai auf Cocos Island im Jahr 2012 ...
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... und auf Malpelo im Jahr 2016

Weil das Streben nach Mehr offensichtlich in den Genen einiger Menschen verankert ist, buchte ich für den Frühling 2016 eine 10-tägige Tauchsafari zur kolumbianischen Pazifikinsel Malpelo. Nachdem wir fast täglich Tauchgänge mit mehreren hundert Hammerhaien hatten und ich am letzten Tag unter Wasser auch noch einen Baitball mit ansehen durfte, hatte ich das Gefühl, fast alles von dem, was die Natur unter Wasser für uns Menschen bereithält, gesehen zu haben. Was sollte das noch toppen?

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Man kann über das Füttern von Haien denken was man möchte, jedoch wird kaum irgendwo mehr für den Schutz dieser Tiere getan als auf den Bahamas. Deswegen wollte ich mir – mit gutem Gewissen – im Frühling 2018 die Tigerhaie bei Tiger-Beach 6 Stunden vor Freeport aus der Nähe ansehen. Und es war unglaublich! „Aus der Nähe“ hieß in diesem Fall z.B., dass sich ein ausgewachsenes Weibchen zu einem „Probebiss“ in das massive Aluminiumgehäuse meiner Kamera veranlasst sah. Das Ganze ist als eines von zahlreichen tollen Erlebnissen dieser 9-tägigen Expedition in bewegten Bildern festgehalten. Ach ja – am Kameragehäuse zeugt nur ein kleiner Kratzer von dieser Begegnung.

Erst wenn man besondere Erlebnisse mit einem besonderen Menschen teilt, wirken diese besonders nachhaltig und werden unbezahlbar. Und so freute ich mich wie ein kleines Kind, als ich im Oktober 2019 – meine Instruktor Ausbildung hatte bereits begonnen – mit meiner Freundin Joana erstmals gemeinsam ein Safariboot betrat. Noch schöner war es, dass wir am Elphinstone Riff zusammen unseren ersten Longimanus sahen.

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Dieser im Roten Meer recht zahlreich vertretene Weißspitzenhochseehai hatte sich bisher erfolgreich vor mir versteckt. Doch auf einmal gab es kaum mehr einen Tauchgang ohne ihn. Erst am Elphinstone, dann bei den Brothers und zuletzt an der Südspitze des Deadalus Riffs – überall zeigte er sich uns und ich habe mich gefragt, wo er sich all die Jahre zuvor versteckt hatte. Wahrscheinlich wollte er nicht zu mir, sondern zu meiner Freundin. Das kann ich ihm kaum übelnehmen.

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Hammerhaischule bei Bajo del Monstruo, Malpelo
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Zitronenhai fast zum Anfassen

In der Mittagszeit wollten wir am besagten Deadalus Riff einen Tauchgang über das Südplateau machen und im flachen Bereich unter den zahlreichen Booten im Blauwasser zurück zu unserem Schiff tauchen. Bereits vom Boot aus sahen wir dort immer wieder einen Longimanus.

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Und es lief zunächst perfekt. Wir hatten den Prachtkerl immer wieder nur für uns allein. Irgendwann verlor Joana vor Begeisterung ihre Tarierung aus den Augen, vielleicht auch deswegen, weil ihr GUE Fundamentals zu dem Zeitpunkt noch vor ihr lag. Kaum an der Oberfläche, wurde der Longi – wie wir ihn liebevoll nannten – neugierig. Obwohl meine Freundin sich sehr ruhig verhielt, wurde aus der Neugier innerhalb von Sekunden Aufdringlichkeit und schließlich Aggressivität. Als Beleg dafür dient ein Gebissabdruck im Flossenblatt meiner Freundin, die nun zunehmend unruhiger wurde.

Mir bleib keine andere Wahl, als das Ganze aus der Maulwurfperspektive zu beobachten. Dazwischengehen wollte ich nicht, weil das den Longi fraglos noch aggressiver gemacht hätte. Doch auch so schaukelte sich die Situation weiter hoch. Der Hai wurde immer gereizter und ließ überhaupt nicht mehr von Joana ab. Diese wehrte sich mit Händen und Füßen. Sie versuchte sogar, meiner Aufforderung, wieder abzutauchen, nachzukommen.

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Doch dazu bestand keine Chance, da keine Sekunde verging, in der sie sich nicht gegen den Longimanus zur Wehr setzen musste. Da der Hai keine Anstalten machte, von ihr abzulassen und im Wasser konditionell sicher am längeren Hebel saß, bewegte sich meine Gefühlswelt irgendwo zwischen Angst und Panik. Das Ganze konnte eigentlich nur auf eine Art enden, nämlich mit einem Biss durch einen 2,5 Meter großen Hai, acht Stunden vom Festland entfernt.

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Tigerhai bei Tiger Beach, Bahamas

Durch meinen Kopf schossen tausend Gedanken gleichzeitig. Du nimmst Joana mit auf ihre erste Safari und dort wird sie von einem Hai gebissen. So haben schon Leute ihr Bein und in Extremfällen auch ihr Leben verloren. Ich schrie was das Zeug hält, konnte aber sonst nur zusehen. Nach einer gefühlten Ewigkeit kamen zwei Zodiaks zur Hilfe. Der Fahrer des einen Bootes schaffte es jedoch nicht, meine Freundin mit Equipment aus dem Wasser zu ziehen, obwohl sie nach Kräften strampelte, um seine Bemühungen zu unterstützen.

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In dem Moment machte der Longimanus Anstalten, sich den unteren Gliedmaßen zuzuwenden, schnappte aber nicht zu. Nachdem sich Joana ihres Equipments entledigt hatte, sah sich der Zodiakfahrer mit einer Entscheidung: Mensch oder Maschine? Er entschied sich für den Menschen und ließ das Equipment los. Letztgenanntes ging – weil das Wing nach dem vergeblichen Abtauchversuch komplett leer war – unter wie ein Stein und wurde nie wieder gesehen. Knapp 3.000 Euro versanken für immer jenseits des Südplateaus am Deadalus Riff, aber das war allen Beteiligten in dem Moment völlig egal.

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Probebiss in meine Kamera

Meine Freundin war unbeschadet aus dem Wasser. Ich brachte mich über eine Flossenleiter auf das nächstbeste Boot und damit ebenfalls in Sicherheit. Sehr zu meiner Überraschung fand ich mich mit zitternden Knien auf dem Tauchdeck wieder, von dem aus ich fast exakt 10 Jahre zuvor meine beiden ersten Seidenhaie gesehen hatte. Die 7Seas war immer noch im Dienst.

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An meiner Faszination Haien gegenüber hat sich nichts geändert. In Zukunft werde ich aber Ziele meiden, an denen das natürliche Verhalten dieser Tiere durch menschliche Einflüsse nachhaltig beeinträchtigt ist. Sei es durch Unmengen organischer Abfälle, die illegal um das Riff entsorgt werden oder durch Tage mit über 1000 Tauchgängen an einem Riff sowie den permanenten Lärm durch 30 Zodiaks. Da fahre ich lieber wieder nach Malpelo, wo maximal ein Boot gleichzeitig operieren darf. Das kostet zwar fünfmal so viel, aber dafür lohnt es sich, vorher viermal zu Hause zu bleiben.

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